Philipp Gerber, Ende dreißig, ist 1933 mit seinen Eltern und Geschwistern in die USA emigriert. Im Krieg kehrt er als Angehöriger des amerikanischen Militärgeheimdienstes CIC nach Deutschland zurück. Eigentlich hat er eine Karriere als Juradozent in Harvard vor Augen, doch dann wird er Kriminalhauptkommissar beim BKA – und «Adenauers Mann».
Rosemarie und das Wirtschaftswunder. Dass ihr Name in keinem Buch, keinem Film, keiner Dokumentation zu den Nachkriegsjahren fehlt, hat seine Gründe. Es sind die Fünfzigerjahre unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), dank Wirtschaftswunder und «Wunder von Bern» 1954 war «man» wieder wer, die Erinnerungen an Krieg, Holocaust und Abermillionen Tote verblassten. Da kam der skandalöseste Kriminalfall der Fünfzigerjahre gerade recht: der Mord an der jungen Prostituierten Rosemarie Nitribitt.
Wer war «das Mädchen Rosemarie»? Als nichteheliches Kind am 1. Februar 1933 in Düsseldorf geboren, kam sie mit drei Jahren in ein Kinderheim, mit sechs zu Pflegeeltern ins Eifeldorf Niedermendig. Mit elf wurde sie von einem Nachbarn vergewaltigt, zwei Jahre später begann sie, ihren Körper zu verkaufen: als Prostituierte alliierter Soldaten. Eine Abtreibung kostete sie 1947 beinahe das Leben. Das Mädchen galt als renitent, schwer erziehbar, fernab aller moralischen Standards der Gesellschaft. Immer wieder flog sie aus Erziehungsheimen, in die man sie steckte, wie der berüchtigten Arbeitsanstalt Brauweiler. 1953 vorzeitig für volljährig erklärt, machte Rosemarie Nitribitt ihren Körper endgültig zum Geschäftsmodell.
«Die Nitribitt». Die Selbstvermarktung ihrer Sexualität und ihre Kunden aus den bedeutendsten Kreisen der Gesellschaft ließen sie zum Markenartikel des Frankfurter Nachtlebens werden. Ihre Herkunft aus einfachsten Verhältnissen kaschierte Rosemarie, indem sie Benimmkurse belegte, sich exquisit kleidete, Englisch und Französisch lernte – ein atemberaubender Aufstieg von der Sexarbeiterin im Rotlichtviertel am Hauptbahnhof zur mondänen Gesellschaftsdame. Ihr Markenzeichen: der schwarz lackierte Mercedes 190 SL mit roten Lederpolstern, mit dem sie rund um den Frankfurter Hof wohlhabende Kundschaft akquirierte. Zu der zählten Großindustrielle wie Harald Quandt und der Krupp-Erbe Harald von Bohlen und Halbach, die Sachs-Brüder Gunter und Ernst, der Rennfahrer Fritz Huschke von Hanstein.
Tod einer Edelhure. Am 1. November 1957 wurde Rosemarie Nitribitt in ihrer Wohnung in der Stiftstraße 36 am Eschenheimer Tor ermordet aufgefunden. Der Mord gilt bis heute als unaufgeklärt, auch wegen haarsträubender Ermittlungsfehler der Polizei. Tatspuren wurden systematisch kontaminiert, Zeugen nicht oder Monate zu spät befragt, Akten verschwanden, Verhörprotokolle waren unauffindbar. «All dies, und einiger Irrsinn mehr, verlieh dem Fall die Skandalaura gewollten staatlichen Versagens, das dem Zweck diente, die Reichen und Mächtigen zu schonen und den Mörder bloß nicht in ihren Kreisen zu finden.» (Ursula März, Die Zeit)
Rosemarie – eine Kunstfigur. Kaum ein öffentlicher Skandal hat die Fantasie der Deutschen mehr entfacht als das Schicksal dieser jungen Frau, die nur 24 Jahre alt wurde. «Der Fall Nitribitt mit seiner Mischung aus High Society und Schmuddeligkeit war wie gemacht für die verklemmten Fünfzigerjahre.» (Ralf Langroth)
Es dauerte nicht einmal ein halbes Jahr, bis der erste Nitribitt-Film abgedreht war, «Das Mädchen Rosemarie» (Drehbuch: Erich Kuby), mit einem Staraufgebot deutscher Schauspieler (Nadja Tiller, Gert Fröbe, Mario Adorf etc.). Unzählige Male wurde der Nitribitt-Stoff verarbeitet: in Romanen, Filmen und Dokumentationen, in Musicals, Theaterstücken, Hörspielen.
«Das Mädchen und der General». Im dritten Band seiner historischen Krimi-Reihe um BKA-Hauptkommissar Philipp Gerber knüpft Ralf Langroth an den berühmtesten Kriminalfall der Fünfzigerjahre an: Der Mord an Rosemarie Nitribitt im Spätsommer 1957 hält die BRD in Atem – und bringt US-General Hiram Anderson in Schwierigkeiten. Gerbers früherer Chef gehörte zu Nitribitts Liebhabern und wurde zur fraglichen Zeit in der Nähe ihrer Wohnung gesehen. Von Bundeskanzler Adenauer persönlich erhält der BKA-Mann den Auftrag zu ermitteln. Denn General Anderson vermisst seit seinem letzten Besuch bei Nitribitt wichtige Unterlagen: Geheimdokumente über Atomverhandlungen zwischen Adenauer und US-Präsident Eisenhower, die unter keinen Umständen in die falschen Hände gelangen dürfen.
Das schwarze Daimler-Coupé. Eine zentrale Rolle in Gerbers Nachforschungen spielt ausgerechnet der Wagen, mit dem die junge Prostituierte durch die Mainmetropole cruiste: «Der 190 SL, nach Rosemaries Tod von ihrer Mutter geerbt und verkauft, hatte noch eine wechselvolle Geschichte, deren bunteste Facette wohl die Aussage des Modeschöpfers Karl Lagerfeld ist, den Wagen einmal besessen und gegen einen Baum gefahren zu haben; danach habe er nie wieder am Steuer eines Autos gesessen. Ich habe mich des Wagens in diesem Roman bemächtigt und ihn zu einem wichtigen Bestandteil der Handlung gemacht …» (Ralf Langroth)